Die Erarbeitung der Biografie Böcklers, die historisch-kritische Analyse seiner Schriften und die Auseinandersetzung mit seinem architektonischen Werk werden systematisch mit aktuellen Forschungsfragen zur Architektur des 20. Jahrhunderts verzahnt. Die bisherige Arbeit zeigt: in der Auseinandersetzung mit Böckler können neue Einsichten in grundlegende Prozesse gewonnen werden. Aktuell konzentrieren sich unsere Forschungen auf die Transformationsprozesse, die sich seit der Mitte der 1930er Jahre und über 1945 hinaus im architektonischen Feld vollzogen.
- Böckler konnte sich seit Mitte der 1930er Jahre schrittweise in der Planungsstruktur des „Dritten Reichs“ beruflich etablieren. Welche fachlichen Kompetenzen waren dabei gefragt, welche Kontakte hilfreich? In welcher Weise engagierte sich Böckler in diesen Institutionen und über diese hinaus? Wo traten Konflikte, etwa zu eigenen Ambitionen, auf? Was waren Impulse und Anlässe für berufliche Wechsel?
Ein Reihe der Büros, in denen Böckler tätig war, haben bereits wissenschaftliche Darstellung erfahren. Die Untersuchung des Werdegangs Böckler ermöglicht jedoch, spezifische Einblicke in das Funktionieren dieser Institutionen und damit des nationalsozialistischen Planungs- und Bauwesens zu erarbeiten: so etwa die Anforderungen an diese Institutionen, ihre informellen Strukturen, ihre personellen Verflechtungen und ihre latente Konkurrenz untereinander.
- Böcklers Tätigkeit als praktischer Architekt begann erst in den 1950er Jahren. In der Kriegswirtschaft des „Dritten Reichs“ war die Bautätigkeit auf ein Minimum reduziert worden. Die Planungsbüros und so auch Böckler waren stattdessen mit Projekten für die Zeit nach dem „Endsieg“ befasst und beschränkten sich auf theoretische Abhandlungen und Propaganda. Auf welche Weise sind also Böcklers berufliche Tätigkeit im Nationalsozialismus und seine Aktivitäten nach 1945 verbunden? Wie gelang es ihm, sich seit den 1950er Jahren in der Baupraxis zu etablieren? Inwieweit waren Kompetenzen, die er sich bis 1945 angeeignet hatte, und Netzwerke aus dieser Zeit hilfreich? Welcher neuen Kompetenzen bedurfte es, welche neuen Kontakte baute Böckler auf?
Die vergleichsweise gute Quellenlage erlaubt es, am Beispiel Böcklers grundlegende Fragen des Übergangs von der nationalsozialistischen Planungs- und Baupraxis in die Nachkriegszeit zu untersuchen:
> die Restrukturierung der fachlichen und überfachlichen Netzwerke,
> die Strategien, mit denen sich die Architekten an die neue politische und wirtschaftliche Situation sowie an die gewandelten gesellschaftlichen Forderungen anpassten,
> das Fortsetzen, Anpassen oder erzwungene Neuausrichten theoretischer Modelle und ästhetischer Vorstellungen und schließlich
> der Umgang mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus.
Die kurz- und langfristige Rückwirkung des Nationalsozialismus auf die Nachkriegsentwicklung und deren Dynamik kann somit beschrieben werden.
- Böckler blieb zeitlebens der Geschichte und der Kultur des östlichen Europas verbunden. In der Zeit des Nationalsozialismus stellte er dieses Interesse in den Dienst der aggressiven nationalsozialistischen Eroberungspolitik. Wie greifen Böcklers Kenntnis und sein Interesse am Osten auf der einen und die nationalsozialistischen Planungen für die eroberten Gebiete im Osten auf der anderen Seite ineinander? Inwieweit reagierte Böckler, inwieweit war er Akteur und trieb die Planungen konzeptionell und propagandistisch mit voran? Wie verhalten sich diese Aktivitäten zu seinen späteren Bemühungen um eine Vermittlung der Kultur und Kunst der baltischen Länder?
Die Biografie Böcklers und die enge Verzahnung von persönlichen Voraussetzungen und zeitgenössischen Diskussionen ermöglichen es, den Wandel der Vorstellungen vom europäischen Osten in den deutschen Diskursen sowie seine Rückwirkungen auf institutionelles und individuelles Handeln nachzuzeichnen.
- Der letzte Fragenkomplex führt unmittelbar zu Böckler als Stiftungsgründer und zu den Motiven seines Engagements: Der Fokus der Stiftung auf die Ostseeregion unterschied sie von den übrigen deutsch-baltischen Institutionen im Nachkriegsdeutschland, die sich auf das „Baltikum“, das heißt die Regionen Estland, Livland und Kurland und ihre deutschbaltische Bevölkerung konzentrierten. Was waren die Gründe? Ist die Stiftungsgründung als eine Geste der Aufarbeitung zu verstehen? Inwiefern hat sich Böckler von traditionellen, auf Deutschtum fixierten Wahrnehmungen der baltischen Länder distanziert und den kolonialen Blick der Zeit des Nationalsozialismus auf das östliche Europa revidiert?